Wie greift Technik in das Gehirn ein?
Von der Diagnostik
zur Mensch-Computer-Schnittstelle
Das Gehirn ist ein unersetzbares, essentielles Organ. Heute gilt es als Sitz der Kognition und des Empfindens, der Sprache, Steuerung der Bewegung und der Atmung sowie der Persönlichkeit. Doch seine systematische Erforschung begann erst vor etwa 170 Jahren. Am Anfang der funktionellen Hirnforschung, die über rein anatomische Beschreibungen hinaus ging, standen Fälle von Menschen mit Verletzungen des Gehirns. Die frühen Neurologen erkannten, dass solche medizinischen Fallbeschreibungen Aufschluss über Funktionen des Hirns geben konnten: Die Patienten zeigten unterschiedliche Symptome, je nachdem welcher Bereich des Gehirns betroffen war. Doch die weitere Erforschung wurde erst möglich, als Technologien erlaubten, das Gehirn am unversehrten Menschen genauer zu studieren.
Seitdem hat sich ein ganzer naturwissenschaftlicher Zweig entwickelt, der sich mit dem Verständnis des Gehirns und der Nervenzellen bei Mensch und Tier beschäftigt: die Neurowissenschaften. Unerlässlich dafür war und ist die sogenannte Neurotechnologie. Dabei lassen sich unter diesem Begriff sowohl Techniken zusammenfassen, die der Forschung dienen, als auch solche, die für diagnostische und therapeutische Zwecke entwickelt wurden. In der Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, in denen diese Erkenntnisse aus der Forschung Patienten zu Gute kommen, sind Technologien wie Computertomographie, Elektroenzephalographie (EEG), Psychopharmaka und funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) nicht mehr wegzudenken. Unter den Neurotechnologien unterscheiden Wissenschaftler das Neuroimaging und biomedizinische Anwendungen, die direkt mit dem Gehirn interagieren. Erstere sind oft diagnostische Methoden, die das Erkennen von Erkrankungen wie Krebs, Schlaganfall oder Epilepsie revolutioniert haben.
Zweitere greifen in die Physiologie des Gehirns ein – über chemische oder physikalische Maßnahmen. Neben der Pharmakologie ist die elektrische Stimulation eine der wirksamsten Methoden. Die Erkenntnis, dass Strom bei der Weiterleitung von Information in Nervenzellen eine Rolle spielt, begann schon mit den Arbeiten von Luigi Galvani im 18. Jahrhundert und begründete die Disziplin der Elektrophysiologie. Mit der Weiterentwicklung der Elektrotechnik wurden auch das Wissen um die Weiterleitung von Strom in Nervenzellen immer genauer, und Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte Julius Bernstein das Aktionspotential, das heute als Grundlage der Messung von Nervenzellaktivität gilt. Erste medizinische Methoden benutzten äußerlich angewendete Stromstöße, wie die heute noch angewendete Elektrokrampftherapie, die 1938 entwickelt wurde. Zunehmend genauere neurochirurgische Operationen, wie stereotaktische Operationsverfahren, ein besseres Verständnis des Gehirns und die umfangreiche Grundlagenforschung an Versuchstieren ermöglichte es dann in den 1970er Jahren, die Tiefe Hirnstimulation, auch Hirnschrittmacher genannt, als Therapie für Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson zu entwickeln. Heute tragen 85.000 Patienten ein solches Implantat in ihrem Gehirn, das mit leichten Strömen bestimmte Stellen der tieferen Schichten des Organs reizt und so neurologischen Erkrankungen entgegenwirken kann.
Das Zeitalter der Neuroprothesen
Weiterhin entstanden im Laufe der letzten 20 Jahre Prothesen, die mit solchen elektrischen Reizungen Funktionen im Nervensystem wiederherstellen können. Das Cochlea-Implantat ist dabei eine besonders etablierte Methode, um das Hören wieder zu ermöglichen. Tiefenhirnstimulation wird zur Behandlung von Symptomen bei Parkinson eingesetzt, Technologien wie Netzhaut-Implantate sind zugelassene Medizinprodukte und auch gehirngesteuerte Prothesen sind heute schon in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien. Auch wenn kognitive und affektive Störungen bisher mit Psychopharmaka behandelt wurden, sind die sogenannten Elektropharmaka auf dem Vormarsch: Auch Depression könnte mit Tiefer Hirnstimulation behandelt werden.
Einen großen Aufschwung erhielten in den letzten Jahren auch die Forschung an magnetischen Stimulationsmethoden sowie Schnittstellen, die das Gehirn mit dem Computer verbinden. Letztere haben das Potential, Menschen, die sich nicht mehr bewegen können, ihre Handlungsfähigkeit zurückzugeben.
Bald können gelähmte
Menschen nur dank Gedankenkraft
schreiben.
Manche dieser elektrischen Technologien greifen tief in Nervenstrukturen ein und benötigen operative Methoden. Als Sitz vieler Eigenschaften, die Menschen als Selbst definieren, wirkt das Organ besonders sensibel. Manipulation und operative Eingriffe am Gehirn machen besonders Angst, da sie weitreichende Konsequenzen für die Psyche des Patienten haben könnten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Anwendungen direkt im Gehirn, besonders viele ethische Hürden zu überwinden haben, um von Patienten akzeptiert zu werden. Unethische Forschung an Menschen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts insbesondere in der Psychochirurgie mit der Anwendung der Lobotomie, brachten die Hirnforschung in Verruf und die Skepsis dieser Zeit wirkt oft noch nach. Anderseits wecken diese Technologien überhöhte Hoffnungen auf Heilung und Zukunftsfantasien, die die Gefahr des Missbrauchs vermehren.
Heute arbeiten Forscher daran, diese Methoden sicherer, effektiver, leichter und langlebiger zu machen. Außerdem kommen neue Technologien wie die Optogenetik, die Genetik und Elektrophysiologie verbindet, dazu. Gehirn-Maschine-Schnittstellen werden weiterentwickelt, so dass sie in einer Rückkopplungsschleife Therapien an die Zustände des Gehirns anpassen können. Wir wollen in unseren Veranstaltungen diese Entwicklungen begleiten und diskutieren, in dem wir Forschern und der Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, ihre Bedenken und ihre Wünsche auszutauschen, damit sich Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen.
Zum Weiterlesen:
www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3157831/pdf/fnint-05-00042.pdf
Ein Artikel zur Geschichte der Tiefen Hirnstimulation
www.spektrum.de/magazin/neuroimplantate/1343308
Hier finden Sie mehr Informationen zu Neuroimplantate von Autor Thomas Stieglitz
www.dasgehirn.info/entdecken/grosse-fragen/koennen-wir-gehirne-kurieren
Dieser Artikel fasst die Geschichte der Hirnforschung zusammen
www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/neurotechnologie/8738
Eine kurze Definition von Neurotechnologie
http://www.neurotechnology.uni-freiburg.de/
Auf dieser Website finden Sie ausführliche Informationen zu aktuellen Technologien
www.cell.com/trends/neurosciences/pdf/0166-2236(83)90078-4.pdf
Ein Text über die Entdeckung des Aktionspotentials