Innerfields und Philipp Kellmeyer

von Jürgen Reuss, erschienen am 9.7.2019

Kaum wurde der lange Arm der Hebebühne mit dem Berliner Künstlerteam Innerfields an Bord vor Stirnwand des Neurozentrums auf dem Gelände der Freiburger Uniklinik ausgefahren, waren am oberen Rand auch schon die ersten Tauben auf die sehr prominente weiße Fassade an der Breisacherstraße gebannt. Sehr passend, ein Wandbild zum Thema Künstliche Intelligenz mit Tauben als klassischem Symbol für den Heiligen Geist zu beginnen. Schließlich haben Religion und KI-Forschung ein ähnliches Abbildungsproblem: Der Gegenstand ihrer Beschäftigung ist unsichtbar. Außerdem möchten sowohl Ikonographie als auch Streetart ihr Publikum möglichst auf den ersten Blick in den Bann ziehen. Wie schafft man das?

Der wissenschaftliche Tandempartner von Innerfields, der Neurologe und Ethiker Philipp Kellmeyer vom Neuromedical AI Lab der Universität Freiburg, sieht im Taubensymbol weniger den religiösen, als den Geist der wissenschaftlichen Verständigung. Für ihn ist das Problem der Verstehbarkeit und der Interaktion zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz zentral. Was Innerfields aus der regen Diskussion mit dem Wissenschaftler über mögliche Wandmotive an Erkenntnissen mitgenommen haben, fasst Künstler Holger Weißflog so zusammen: „Wenn ein Algorithmus sich entwickelt, entsteht etwas ganz Neues, das selbst für den Programmierer unverständlich bleiben kann. Andererseits hat Philipp uns darauf hingewiesen, dass wir auch nicht genau wissen, wie unser eigenes Gehirn funktioniert.“ In der Konsequenz entstand daraus die Idee, mit dem Motiv einer doppelten Black Box zu arbeiten.

Und so schwebten unter den Tauben, ewiges Symbol für regen geistigen Austausch, bald zwei Blackboxes. In der einen verbirgt sich undurchschaubare Software, in der anderen das rätselhafte Gehirn. Die eine Box bekam im Laufe der Malarbeiten dann einen Roboter-, die andere ein Menschenkörper. In einer Begegnung auf Augenhöhe legen sie sich nun gegenseitig eine Hand an den schwarzen Würfelkopf, eine zarte Geste des Aufeinanderzugehens und der Suche nach Kontakt. „Ich finde es sehr gelungen, dass Innerfields die Begegnung zwischen Mensch und Roboter nicht als etwas Bedrohliches darstellen, sondern als eine schöne Utopie von Mensch-Maschine-Kommunikation, die vermittelt, dass beide nach wechselseitigem Verständnis suchen“, sagt Kellmeyer. „Ich bin froh und glücklich über das Ergebnis und wie schön auch die Umsetzung funktioniert hat.“

Auch die Künstler sind begeistert: „Es war eine sehr intensive Zusammenarbeit mit für uns total krassen Erkenntnissen über den Einfluss künstlicher Intelligenz auf unsere Zukunft“, sagt Weißflog. „Wir sind mit ganz anderen Vorstellungen an die Sache rangegangen“, ergänzt Jakob Tory Bardou, „und sind jetzt ganz anders sensibilisiert, über KI nachzudenken.“

Innerfields Spezialität, die Oberfläche der klassischen Wandmaltechnik durch Sprühen zu veredeln und so fotorealistische Tiefe ins Bild zu bringen, saugt den Betrachter unmittelbar ins Bild, lässt ihn die sympathische Freundschaftsgeste zwischen Mensch und Maschine auf den ersten Blick erfassen und wirbt für den verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Mission accomplished.

An der Wand in der Breisacherstr. 64 in Freiburg entstand vom 2.7.2019 bis 6.7.2019 eine Fassadengestaltung des Berliner Künstlerteams Innerfields. Das Motiv entwickelten sie gemeinsam mit dem Neurologen und Ethiker Philipp Kellemeyer und beschäftigt sich mit dem Thema verantwortlicher Umgang mit Hirndaten und künstlicher Intelligenz. Philipp Kellmeyer forscht an der Universität Freiburg am FRIAS und am Neuromedical AI Lab der Uniklinik.

Informationen zu Innerfields:

Wer bin ich,
wenn ich jeder sein kann?
Bin ich ich?
Warum antwortet keiner? 
Wie schmeckt ein Foto? 

innerfields gehört der letzten Generation an, die noch ohne Handys, Laptops und soziale Netzwerke aufgewachsen ist. Sie nehmen wahr, was die neuen Medien ersetzen, erleichtern, verändern, an welche Stellen sie treten. Das ist Inspiration für ihre Arbeiten, welche den Betrachter gleichsam zum Beobachter einer Realität machen, welche die seine nicht selten widerspiegelt. Die Lücke, die das moderne Medium hinterlässt, ist mitunter kaum mehr wahrzunehmen und manchmal schmerzhaft klaffend. Ist die neue Vernetzung in der Lage, diese Lücken zu schließen? Welche Rolle spielt die Natur?

Hinter innerfields verbirgt sich das Künstlertrio Jakob Tory Bardou, Holger Weißflog und VeitTempich. In ihrer Heimatstadt Berlin sind sie mit Graffiti und zahlreichen anderen Einflüssen aufgewachsen und arbeiten seit 1998 zusammen. Die Künstler reflektieren in ihren Arbeiten ihre Umgebung, meist in figurativen, realistisch dargestellten Motiven mit grafischen Elementen und Symbolen. Dominierendes Thema in ihrer Arbeit ist die Diskrepanz zwischen dem Menschen als Teil der Natur, und gleichzeitig die Entfernung von derselbigen in unserer technisierten, künstlich erschaffenen Welt. Von Auftragsarbeiten über freie Kunst an Fassaden oder auf Leinwand bis hin zu Kunstfestivals und anderen Kunstprojekten sind innerfields rund um den Globus aktiv.

Ein Projekt wie »Stadtwandforschung« in Freiburg ist für sie eine unschätzbar wertvolle Weiterbildung in dem, womit sie sich tagtäglich auseinandersetzen. Sie sind gespannt, welchen Einfluss das Projekt auf ihre Arbeit haben wird.

 http://www.innerfields.de/

Informationen zu Dr. Philipp Kellmeyer (via FRIAS):

Dr. Kellmeyer ist Facharzt für Neurologie am Universitätsklinikum Freiburg. Er studierte Humanmedizin in Heidelberg und Zürich und erhielt einen Master of Philosophy der University of Cambridge (GB) mit einem Vollstipendium. Derzeit arbeitet er als klinischer Neurowissenschaftler an einer drahtlosen, intrakraniellen EEG-basierten Gehirn-Computer-Schnittstelle zur Wiederherstellung der Kommunikation bei schwer gelähmten neurologischen Patienten. Außerdem ist er wissenschaftliches Mitglied im Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools, einem interdisziplinären Forschungskonsortium zur neurotechnologischen Forschung an der Universität Freiburg. In seiner neuroethischen Arbeit interessiert er sich besonders für die ethischen, rechtlichen, sozialen und politischen Herausforderungen von Neurotechnologien, Big Data und maschinellen Lernens in Medizin und Forschung. Er ist zudem affilierter Mitarbeiter am Institut für Biomedizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Zürich, wo er auch biomedizinische Ethik lehrt. Er ist Leiter der Emerging Issues Task Force der International Neuroethics Society und Mitglied des Advisory Committee des Neuroethics Network. Für seine neuroethischen Arbeiten erhielt er 2017 den “Förderpreis Bioethik” der MTZ-Stiftung.

www.frias.uni-freiburg.de/de/personen/fellows/aktuelle-fellows/kellmeyer

Ein Projekt von